Rechtslage bis zum 30.06.2023 Nach europäischem Recht kann für eine Person zu jedem Zeitpunkt nur das Sozialversicherungsrecht eines Landes Anwendung finden. Grundsätzlich müssen die Sozialversicherungsbeiträge in dem Land entrichtet werden, in dem die Person tatsächlich arbeitet. Der Wohnort des Beschäftigten ist hingegen im Allgemeinen unbeachtlich. Erbringt eine Person ihre Arbeitsleistung jedoch regelmäßig in zwei Mitgliedstaaten, bestimmt Artikel 13 Abs. 1 VO (EG) 883/2004 als Kollisionsnorm das anzuwendende Sozialversicherungsrecht: Die beschäftigte Person ist demnach im Sitzstaat des Arbeitgebers sozialversicherungspflichtig, wenn sie dort einen wesentlichen Teil – d.h. mehr als 25% der gesamten Arbeitstätigkeit [1] – leistet. Behördliche und arbeitgeberseitige Anordnungen sowie die freiwillige Telearbeit (von zuhause) führten während der COVID-19-Pandemie jedoch dazu, dass Beschäftigte diese 25%-Grenze schnell überschritten. Um hieraus resultierende Zuständigkeitswechsel in der sozialen Sicherheit zu verhindern, wurden auf EU-Ebene übergangsweise Sonderregelungen eingeführt, die einen höheren Anteil der Telearbeit gestatteten, ohne dass das Recht der sozialen Sicherheit wechselte. Diese pandemiebedingten Übergangsregelungen endeten jedoch mit Ablauf des 30.06.2023. Multilaterale Rahmenvereinbarung ab 01.07.2023 Um auch weiterhin dem veränderten Arbeitsverhalten gerecht zu werden, trat am 01.07.2023 die sogenannte „Multilaterale Rahmenvereinbarung über die Anwendung von Artikel 16 Absatz 1 der VO (EG) Nr. 883/2004 bei gewöhnlicher grenzüberschreitender Telearbeit“ in Kraft. Der englischsprachige Originaltext des Übereinkommens sowie die dazugehörige Gebrauchsübersetzung (Explanatory Note) sind auf der Seite des belgischen Föderalen Dienstes Soziale Sicherheit unter dem folgenden Link abrufbar: https://socialsecurity.belgium.be/en/internationally-active/cross-border-telework-eu-eea-and-switzerland. Kern dieser Vereinbarung ist, dass Beschäftige, die ihre Arbeitsleistung regelmäßig in zwei Mitgliedstaaten erbringen, ab dem 01.07.2023 unter Beachtung bestimmter Voraussetzungen (siehe sogleich) in ihrem Wohnstaat bis zu 49,99 % ihrer Gesamttätigkeit in Form der Telearbeit erbringen können, ohne dass damit gleichzeitig ein Wechsel im anzuwendenden Sozialversicherungsrecht einhergeht. Es gilt vielmehr weiterhin das Sozialversicherungsrecht des Sitzstaates des Arbeitgebers. Voraussetzungen im Detail Erforderlich ist zunächst die regelmäßige Erbringung grenzüberschreitender Telearbeit seitens des Beschäftigten. Art. 1 Abs. 1 (c) der Rahmenvereinbarung definiert diese als eine Tätigkeit, die ortsunabhängig erbracht werden kann und in den Räumlichkeiten des Arbeitgebers oder an seinem Sitz ausgeübt werden könnte und in einem anderen Mitgliedstaat ausgeübt wird als dem, wo die Räumlichkeiten oder der Sitz des Arbeitgebers liegen, und sich auf Informationstechnologie stützt, um mit der Arbeitsumgebung des Arbeitgebers oder des Unternehmens sowie zu Beteiligten/Kunden in Verbindung zu bleiben, um die vom Arbeitgeber übertragenen Aufgaben zu erfüllen. Außerdem darf der Beschäftigte für gewöhnlich nicht (auch) in anderen Staaten als seinem Wohnstaat und dem Sitzstaat des Arbeitgebers tätig sein und die Telearbeit im Wohnstaat muss mindestens 25% und weniger als 50% der gesamten Tätigkeit des Beschäftigten ausmachen. Hinsichtlich der Berechnung dieses Anteils wird gemäß Artikel 14 VO (EG) 987/2009 die voraussichtliche Tätigkeit der folgenden 12 Monate zugrunde gelegt, wobei planbare beschäftigungsfreie Zeiten (v.a. Urlaub) nicht zu berücksichtigen sind. Nicht umfasst vom Anwendungsbereich der Rahmenvereinbarung sind neben selbstständigen Personen auch solche, die im Wohnstaat gewöhnlich eine andere Tätigkeit als grenzüberschreitende Telearbeit ausüben oder gewöhnlich einer Tätigkeit außerhalb des Wohnstaates bzw. Sitzstaates des Arbeitgebers nachgehen. Weiter ist auch zu beachten, dass die Rahmenvereinbarung nur dann Wirkung entfaltet, wenn sowohl der Wohnstaat des Beschäftigten als auch der Sitzstaat des Arbeitgebers diese unterzeichnet haben. Zu den Unterzeichnern gehören derzeit neben Deutschland und Spanien noch 16 weitere europäische Staaten.[2] In seiner Funktion als Depositarstaat sammelt und verwahrt der belgische Föderale Öffentliche Dienst Soziale Sicherheit eine aktuelle Auflistung der Unterzeichnerstaaten.[3] Zudem besteht fortlaufend die Möglichkeit der Unterzeichnung der Vereinbarung durch weitere Staaten. Hier tritt diese am ersten Tag des Monats in Kraft, der auf die Unterzeichnung folgt. Beim Vorliegen aller Voraussetzungen hat der Beschäftigte einen Antrag in dem Staat zu stellen, dessen Sozialversicherungsrecht nach der Rahmenvereinbarung gelten soll. Sofern dem Antrag stattgegeben wird, wird mit der beschäftigten Person eine bis zu drei Jahre gültige Vereinbarung geschlossen. Auf erneuten Antrag sind (weitere) Verlängerungen möglich. Weitergehende Informationen Für die Bundesrepublik Deutschland fungiert der GKV-Spitzenverband als zuständige Stelle bezüglich der multilateralen Rahmenvereinbarung. Unter https://www.dvka.de/de/arbeitgeber_arbeitnehmer/antraege_finden/abschluss_ausnahmevereinbarung/telearbeit/telearbeit_1.html lassen sich weitergehende Informationen finden. Autor: Aaron Mayer / Rechtsreferendar Stand: 08.08.2023 [1] Ausweislich Art. 14 Abs. 8 VO (EG) 987/2009. [2] Hierzu zählen derzeit: Belgien, Finnland, Frankreich, Kroatien, Liechtenstein, Luxemburg, Malta, die Niederlande, Norwegen, Polen, Portugal, Österreich, Schweden, die Schweiz, Slowakei, und Tschechien. [3] Eine aktuelle Auflistung der Unterzeichnerstaaten findet sich unter: https://socialsecurity.belgium.be/en/internationally-active/cross-border-telework-eu-eea-and-switzerland.
Zum Ende des Jahres hat der Rat der Europäischen Union nach zähen Verhandlungen eine entscheidende Einigung erzielt: Der aktuelle Beschluss sieht vor, dass die Mindeststeuer-RL in der Fassung vom 25.11.2022 in den Mitgliedsstaaten bis Ende 2023 in geltendes nationales Recht umgesetzt werden soll. Die Mindeststeuer beläuft sich auf 15% und besteuert die Gewinne juristischer Personen. Betroffen sind von dem neuen Mindeststeuersatz nur Großunternehmen mit einem Umsatz ab 750 Millionen Euro jährlich und mindestens einer Repräsentanz in der EU. Schätzungsweise fallen 7000 - 8000 Unternehmen weltweit darunter.[1] Bereits jetzt zeichnet sich ab, dass die Besteuerung des Differenzbetrages erhebliche Summen in die Staatskassen spülen kann: Für Deutschland berechnet das ifo-Institut zusätzliche Steuereinnahmen von bis zu 6,7 Mrd. Euro.[2] Dagegen wirkt sich die Erhöhung des Körperschaftssteuersatzes auf 15 % lediglich bei vier EU-Mitgliedsstaaten direkt aus: Nur Bulgarien, Ungarn, Irland und Zypern versteuerten bisher Unternehmensgewinne mit einem Satz von unter 15 %.[3] Für Deutschland und Spanien (29,84 % und 25 %, 2021) enthält das neue EU-Gesetz somit keinen Arbeitsauftrag hinsichtlich der Anpassung des geltenden Steuersatzes. Zukünftig soll der Mindeststeuersatz von der Möglichkeit der Steuererhebung auch ohne einen Sitz im Mitgliedsstaat flankiert werden: Auch dort, wo die Gewinne gemacht werden, sieht das Vorhaben der OECD, das dem europäischen Gesetzgeber als Vorlage dient, das Anfallen einer Steuerschuld vor. Dabei handelt es sich um die zweite Komponente des Pakets, das speziell die steuerrechtlichen Lücken vornehmlich digital arbeitender Unternehmen abdecken soll. Hintergrund der aktuellen europäischen Steuerreform ist ein internationaler Zusammenschluss von mehr als 130 Ländern: Bereits im Oktober 2021 hatte die OECD im Auftrag der G20-Länder ein Steuerpaket ausgearbeitet, welches im Rahmen eines Zwei-Säulen-Programmes künftig die Abwanderung von Unternehmensgewinnen verhindern und den Unterbietungswettbewerb bei der Unternehmensbesteuerung unterbinden sollte. Dieses wurde von fast allen OECD-Staaten gebilligt. Die lang erarbeitete Einigung auf die Mindeststeuer stellt einen großen Schritt für die internationale Zusammenarbeit und den internationalen Zusammenhalt bei der Bekämpfung von Steueroasen und Unternehmensabwanderung dar. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Durchsetzung der globalen Steuer gestalten wird. Jennifer Wehl Rechtsreferendarin Stand: 12.2022 [1] https://www.tagesschau.de/wirtschaft/finanzen/globale-mindeststeuer-faq-101.html [2] https://www.ifo.de/publikationen/2022/aufsatz-zeitschrift/die-aufkommenseffekte-einer-globalen-mindeststeuer [3] https://www.bundesfinanzministerium.de/Monatsberichte/2022/07/Inhalte/Kapitel-3-Analysen/3-3-steuern-im-internationalen-vergleich-pdf.pdf?__blob=publicationFile&v=5.